Talk in der Huma

„Frieden ist möglich?!“

… Darüber diskutierten am 7. Juli 2023 um 19:00 Uhr im LebensRaum Kirche drei Podiumsteilnehmer:innen unter der Moderation von Claudia Nothelle im siebten „Talk in der Huma“. Eingeladen zu diesem hoch aktuellen und drängenden Thema waren als Podiumsgäste der neue evangelische Pfarrer von Niederpleis Dr. Tobias Schreiber, Dr. Ursula Sautter, Bürgermeisterin in Bonn und stellvertretende Vorsitzende bei UN Women Deutschland, sowie Dr. Ansgar Rieks, Generalleutnant a.D., in seiner letzten Verwendung Stellvertreter des Inspekteurs der Luftwaffe. Circa 40 Menschen hatten sich eingefunden und konnten einer spannenden Diskussion folgen, bei der man zeitweilig eine Stecknadel hätte fallen hören können.

Der Krieg in der Ukraine – eine große friedensethische Herausforderung. Und trotz allem: Hoffnung

Die drei unterschiedlichen Podiumsgäste brachten sehr unterschiedliche Facetten des großen Friedensthemas zur Sprache. Und doch kamen sie alle zu den angesprochenen Fragen miteinander in ein gutes Gespräch, das auch unterschiedliche Positionen deutlich werden ließ: Selbstverständlich ging es zunächst und zentral um das, was für uns mehr als alle sonst auf der Welt geführten Kriege eine große und weithin ungeahnte Herausforderung darstellt, nämlich um den Ukrainekrieg. Viel war die Rede von der Zeitenwende in der Politik, und so diskutiert man zunächst einmal die Frage, was denn die Herausforderung dieses Krieges ausmacht, was das Neue in dieser Konstellation ist. Der evangelische Pfarrer verwies auf die Positionierung der evangelischen Kirche, in der es eine deutliche Überschneidung mit der Friedensbewegung gäbe, die sich aber auch immer sehr plural dargestellt habe. Die frühere evangelische Bischöfin, Margot Käßmann, die sich eindeutig pazifistisch positioniert, stelle die eine Seite dar, denn für sie bilde der Ukrainekrieg nun wirklich eine sehr große Herausforderung. Tobias Schreiber stellte für sich selbst heraus, dass er zwar immer die Notwendigkeit sehen würde, dass die Kirchen alles Menschenmögliche tun müssten für den Frieden, dass es aber zugleich Situationen gibt, in denen aus Nächstenliebe heraus Schutz und Verteidigung notwendig sind.

Eine Frage, die sicher viele der Zuschauer innen auch bewegt hat, nämlich wie Waffenlieferungen und Einsatz von Waffen aus einer christlichen Perspektive heraus begründet werden kann, hat er damit für sich klar beantwortet. Und was ihm sehr am Herzen liegt: Dass wir trotz allem die Hoffnung nicht verlieren

Der Krieg, die Notwendigkeit zur Unterstützung der Ukraine und das rote Telefon

Der Katholik in Uniform, wie er bei seiner Verabschiedung aus dem aktiven Dienst von seinem Vorgesetzten bezeichnet wurde, Dr. Ansgar Rieks hatte zum Zeitpunkt des Talks gerade vor einer Woche die Uniform im wahrsten Sinn des Wortes an den Nagel gehängt. Der ranghohe Generalleutnant der Luftwaffe im Ruhestand betont selbstverständlich auch die Notwendigkeit der Verteidigung und der unter Stützung der Ukraine in ihrem Kampf der Selbstverteidigung: Wenn, wie manche Pazifisten fordern, wir den Ukrainern empfehlen würden, den Kampf einzustellen, dann wäre das das Signal, dass man mit Gewalt ein Land erfolgreich einnehmen kann. Das wiederum wäre ein Widerspruch zu allem, so Ansgar Rieks, was uns an Grunddimensionen des Politischen wichtig ist. Und zudem war seine Frage, wer sind wir, dass wir glauben, den Ukrainern sagen zu können, was sie zu tun hätten? Ansgar Rieks sieht uns moralisch verpflichtet, die Ukraine in ihrem Kampf zu unterstützen, immer mit feinfühliger Sorge darum, dass der Kampf nicht eskaliert in Richtung eines Nuklearkriegs. Und eine etwas beruhigende Botschaft hat er für das hochaufmerksame Publikum auch parat, dass nämlich das rote Telefon, das es auch im kalten Krieg schon gab, auch jetzt wieder entscheidend ist! Da gibt es eben doch fern aller öffentlichen Wahrnehmung einen starken und unverzichtbaren Dialog zwischen den USA und Russland, durch den schlimmste Eskalationen noch verhindert werden kann.

Wie kommen wir aus dem Krieg raus? Eine Frage, die sich alle stellen. Eine fertige Antwort hat Ansgar Rieks auch nicht darauf, aber zwei Punkte macht er stark: zum einen müsse noch stärker politisch und diplomatisch agiert werden, es müsse gesprochen werden, auch und gerade mit dem Gegner. Zum anderen müsse bereits jetzt an einer Friedenslösung gearbeitet werden, es müsste eine Vorstellung von dem entwickelt werden, was danach sein kann. Das scheint ihm besonders wichtig und wertvoll zu sein, denn, so seine Aussage, da würde er all seine Energie hinein stecken!

Gesellschaftlicher Unfrieden

Eine ganz andere Facette von der Frage nach Krieg und und Frieden brachte die Bürgermeisterin von Bonn Ursula Sautter mit ins Gespräch, als sie auf unterschiedliche Aspekte von Unfrieden in unserer Gesellschaft hinwies. Zum einen legte sie den Finger in die Wunde des gesellschaftlichen und politischen Debattenkultur, die zunehmend unerträglich geworden sei . Gefragt nach der Fragmentierung unserer Gesellschaft verwies sie darauf, dass immer weiter verbreitet eine cancel culture und FOLO (fear of losing out) sei, was dazu führe, dass es ein richtiges Ranking bezüglich der Frage gäbe, wessen Beeinträchtigung und Benachteiligung am größten sei. Sie plädierte dafür, dass die Gesellschaft für alle Diversität und Verschiedenheit, bei aller Individualität doch wieder mehr Gemeinschaft brauche.

Ein zweiter Bereich gesellschaftlichen Unfriedens brachte Ursula Sautter, ausgehend von ihrem Ehrenamt bei den UN Women mit ins Gespräch. In dieser Sektion der vereinigten Nationen geht es um die Gleichstellung der Geschlechter. Die UN ist eine Friedensorganisation und kümmert sich um alles, was das friedliche Zusammenleben der Menschen angeht. Eindringlich konnte sie aus unterschiedlichen Bereichen die besondere Not und Leid, Erfahrung von Frauen nicht nur in Kriegs- und Katastrophengebieten schildern. Damit wurde deutlich, dass Krieg und Frieden nicht nur etwas in anderen Ländern ist, weit weg von uns, sondern dass es auch bei uns vor Ort so viel Unfriedliches gibt. Aber auch sie blieb nicht bei der Klage über die Situation stehen, sondern hatte diverse konkrete Vorschläge, um etwa gegen spezifische gruppenfeindliche Gewalt vorzugehen. Zum Beispiel könnte man spenden, könnte man in der Öffentlichkeit auf Probleme hinweisen, Geflüchteten vor Ort helfen Gerade im Blick auf letztere ergänzte Tobias Schreiber diese Möglichkeiten noch speziell im Blick auf der Abwehr von Aggression Geflüchteten gegenüber und verwies auf die Möglichkeit von Begegnungsräume, die von Gemeinden eingerichtet werden und Angst vor dem Fremden abbauen könnten. Patenschaften waren ebenfalls ein gutes Beispiel für konkrete Hilfe. Die Frage nach der Integration von Menschen aus sehr unterschiedlichen Ländern, die zu uns geflüchtet sind, stand ebenfalls zur Diskussion an. Es zeigte sich, dass auch dieses Thema nicht ganz einfach zu behandeln ist, denn die Fragen: Wie viel Integration ist zu fordern, wie viel Diversität verträgt eine Gesellschaft? zeigten, dass hier immer wieder Aushandlungsprozesse stattfinden müssen.

Was uns unter den Nägeln brennt …

Das Publikum musste bei diesem spannenden Themen nicht lange zum Mitdiskutieren aufgefordert werden. Viele weiterführende Fragen und Aspekte wurden eingebracht: So verwies eine Rednerin auf die Notwendigkeit einer langfristigem Perspektive auf Zukunft hin und fragte sich und alle Anwesenden, inwieweit sie bereit seien, einen Baum zu pflanzen, in dessen Schaffen wir nicht mehr selber sitzen werden. Die politische Kultur bereitete auch vielen Sorge. Und ein ganz anderes Thema: Was ist mit KI im Kriegseinsatz? Darf eine unbemannte Drohne fliegen? Oder, so Ansgar Rieks, brauchen wir nicht vielmehr eine umfangreichere Beschäftigung mit der Frage, wie wir als Menschen mit Verantwortung mit Technologie insgesamt umgehen?

Und schließlich fasste die Moderatorin eine weitere Überlegung des Publikums in der Frage zusammen, ob die Kirchen zu leise seien in ihren Äußerungen zu gesellschaftlichen und politischen Fragen. Mit Recht und mit Nachdruck verwies Tobias Schreiber auf die Kraft biblischer Hoffnungsbilder, die wichtig seien, um auf dem Weg zum Frieden voranzugehen.

Friede ist möglich, wenn …

Der Talk endete nach zwei Stunden intensiver und sehr nachdenklich stimmender Diskussion mit einer letzten Runde, in der alle drei Podiumsteilnehmer:innen den Satz vervollständigten: Friede ist möglich, wenn …

Dass nach dem offiziellen Ende viele noch blieben und bei einem Gläschen Sekt oder O-Saft und Gebäck die Gespräche noch fortsetzten, ist nicht das schlechteste Zeichen: anregend scheint es gewesen zu sein.

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